Matchless & AJS

Die Geschichte

Geschichte

Als wir im Internet nach der Markengeschichte von AJS und Matchless suchten, war die Ausbeute sehr mager. Sowohl Wikipedia als auch die Website des englischen Mutterclubs - wie übrigens auch andere Quellen im Internet - lieferten nur eine dürftige Ausbeute.

So machte sich Jan-Hendrik daran, die Geschichte der beiden Marken AJS und Matchless sowie der Firmengruppe AMC (Associated Motor Cycles) zu recherchieren und in lesbarer Form aufzuschreiben. Da die gesamte Markengeschichte mehrere Bücher füllen würde, kann auch diese Darstellung - in fünf Kapiteln - nur ein verkürzter überblick sein.

Wir hoffen, einen guten Kompromiss gefunden zu haben und wünschen viel Spaß beim Lesen.

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Matchless und AJS – Die Geschichte

von Jan-Hendrik Wolf & Ralf Lehmann

1.) Einführung
An dieser Stelle soll berichtet werden über zwei große und großartige Marken, die nicht nur der englischen, sondern der Motorradhistorie allgemein mancherlei prägen-den Stempel aufgedrückt haben. Zuletzt verbunden unter dem Dach des AMC-Konzerns, erstrecken sich Aufstieg und Niedergang beider Marken über mehr als sieben Jahrzehnte.

Die Geschichte von Matchless und AJS – in der Rückschau vermeintlich untrennbar verbunden – besteht zunächst einmal aus z w e i Geschichten: denen zweier kinderreicher Familien, mit mobilitätsbegeisterten und technikinteressierten Vätern und Söhnen, die es ihnen gleichtun, in ihre Fußstapfen treten und darüber hinaus fanatische Sportler in vielen Disziplinen sind.
In Deutschland denkt man bei solcher Schilderung unweigerlich an die Familie Opel, Vater Adam Opel und seine fünf Söhne Carl, Wilhelm, Heinrich, Friedrich (“Fritz”) und Ludwig; eine Geschichte, die geprägt ist von der Fahrrad- und Nähmaschinenproduktion, Erfolgen im Radsport und schließlich einer zeitweise gar überragenden Bedeutung des Familienclans für die deutsche Zwei- und Vierradindustrie.

Die englischen Pendants zur Familie Opel waren die Familien Collier aus Plumstead, einem Stadtteil im südöstlichen London, und Stevens aus Wolverhampton, einer Nachbarstadt von Birmingham in den West Midlands.

Die Matchless Führungsmannschaft 1913
Die Matchless Führungsmannschaft 1913


Matchless geht auf Vater Henry Collier zurück, dessen zweiter Vorname mal als Albert, mal als Herbert überliefert wird. Letztere Alternative erscheint überwiegend wahrscheinlich, denn in der Literatur taucht überwiegend das Kürzel H. H. Collier für den Senior auf – und wieso hätte der 1906 geborene Nachzügler der Familie, Herbert William, den Kosenamen “Young Bert” erhalten haben sollen, wenn nicht wegen des väterlichen Vorbildes?
Womit wir bei den Söhnen wären: Harry H., Charles R. “Charlie” und eben das Nesthäkchen Herbert William “Young Bert” Collier. Zu Zeiten, als Herbert junior gerade eben erst das Licht der Welt erblickt hatte, waren seine großen Brüder bereits überaus erfolgreich im Motorsport aktiv. Doch darüber möge der folgende Abschnitt aufklären.

George, Jack, Harry und Joe Junior im Jahr 1921
George, Jack, Harry und Joe Junior im Jahr 1921


AJS hingegen wäre nicht denkbar ohne Joseph “Joe” Stevens, der mit seiner Frau fünf Söhne hatte: die Brüder Harry, George, Joseph “Joe” Junior, Albert John “Jack” und William “Billie” Stevens. Weniger bekannt, jedoch nicht minder erwähnenswert sind die vier Stevens-Töchter: Lucy, Lily, Ethel und Daisy.


2.) Namensfindung und Gründerjahre
Dass ausgerechnet Albert John Stevens einmal zum Namensgeber für A.J.S. werden sollte, lag übrigens keinesfalls daran, dass er – wie oft fälschlicherweise kolportiert wird – der älteste der Stevens-Brüder war (tatsächlich war er, geboren 1885, von den fünf Söhnen sogar der zweitjüngste). Vielmehr war diese Tatsache dem Umstand geschuldet, dass er der einzige Stevens mit einer dritten Initiale war – das machte sich eben optisch besser. Außerdem spricht sich “äj! Dschäj! Ess!” flüssiger aus und ist akustisch eindrucksvoller als äidsch-Ess”, “Dschie-Ess”, “Dschäj-Ess” oder gar “Dabbelju-Ess” (den Initialen seiner vier Brüder entsprechend).

Dass die Colliers ihre Motorräder unter dem Namen Matchless produzieren und vermarkten konnten, verdankten sie einem gewissen Glück - lagen die Markenrechte doch zuvor beim großen und bekannten Singer-Konzern aus Coventry. Dieser hatte den Namen wiederum von einem gewissen Nahum Soloman erworben, der unter dem “Matchless”-Label ebenfalls bereits Fahrräder hergestellt und vertrieben hatte. Ob Singer an den übernommenen Namens- und Markenrechten kein dauerhaftes Interesse hatte oder deren Fortschreibung schlicht versäumte, ist nicht bekannt – jedenfalls verfielen sie 1889 und konnten 1891 von Collier senior erworben werden. Zu jener Zeit hatte er noch einen Kompagnon namens John Watson, der sich jedoch bald darauf, 1892, aus der gemeinsamen Firma zurückzog und sich fortan wieder der Reinigungsbranche widmete, aus der er ursprünglich kam.
Erst 1899 jedoch, als der 15-jährige Harry sich dem väterlichen Betrieb anschloss und der 14-jährige Charlie, der zu jener Zeit noch die Schulbank drückte, ebenfalls verbindliche Absichten in diese Richtung äußerte, tauschte Collier senior das alte “Watson & Collier”-Schild gegen ein solches mit der stolzen Aufschrift “Henry Collier & Sons, Cycle Manufacturers”.

Unsterblichen Ruhm erwarb sich Matchless als Sieger in der Ein-Zylinder-Klasse der allerersten Tourist Trophy (“TT”) auf der Isle of Man im Jahre 1907. Es war Charlie Collier, der die Einzylinder-Klasse mit durchschnittlich 38,22 Meilen pro Stunde (mph) gewinnen konnte und damit sogar um exakt zwei mph schneller war als Rem Fowler auf Norton, der Sieger der Zweizylinder-Klasse. Nebenbei fuhr Bruder Harry, der leider später ausschied, mit 41,81 mph 67,27 km/h) den absoluten Rundenrekord.

Matchless-Werbung von 1960 für die G50 mit Bezug auf die TT Siege von 1907 und 1910
Matchless-Werbung von 1960 für die G50 mit Bezug auf die TT Siege von 1907 und 1910


In diesen frühen Jahren der TT war die Zylinderzahl das einzige Unterscheidungsmerkmal der beiden ausgeschriebenen Klassen, wobei zudem Verbrauchslimits bestanden: die Einzylinder mussten mindestens 90 Miles per Gallon (mpg) zurücklegen können, also 144,81 Kilometer mit 4,546 Litern Kraftstoff, was nach kontinentaler Wahrnehmung einem Verbrauch von 3,139 Litern auf 100 Kilometer entspricht. Den Zweizylindern (oder korrekt: Mehrzylindern – denn das damalige Reglement sprach weise von “multi-cylinders”, hätte also auch einen “Slippery Sam” mit 3 Zylindern, eine Laverda V 6 oder gar eine Moto Guzzi V 8 zugelassen!) gestand man hingegen 75 mpg, entsprechend 120,675 Kilometer mit einer Gallone oder 3,767 Liter / 100 km, zu.
Kritisch wurde seinerzeit vermerkt, dass Charlie Collier wohl nur durch die Zuhilfenahme der Pedale an seinem Vehikel (beispielsweise an der brachialen Steigung von Creg Willey's Hill) den Sieg über Jack Marshall auf einer Triumph davongetragen und das Verbrauchslimit eingehalten hatte. Jedoch, das Reglement verlor über Pedale und deren Einsatz kein Wort, und zudem hätte auch Marshall Pedale benutzen können – wenn denn an seiner Maschine dergleichen installiert gewesen wäre. Ab dem darauffolgenden Jahr waren Pedale allerdings ausdrücklich verboten...

In den Anfangsjahren der Motorisierung auf zwei, drei und vier Rädern war es aus Erprobungs-, aber auch aus Reklamegründen unverzichtbar, sich im Wettbewerb mit anderen Fabrikaten zu messen und erzielte Erfolge gebührend herauszustellen. Und so starteten auch die Motorräder der Marke AJS wie ihre Matchless-Pendants (deren eineiige Zwillinge sie zu einem späteren Zeitpunkt einmal werden sollten) durchaus sportlich in ihr Dasein, wenn auch nicht gleich von Anfang an so spektakulär und erfolgreich.

Da AJS die in Frankreich zu jener Zeit populäre 1/3-Liter-Klasse beschickte, genoss die Marke bei den kontinentalen Nachbarn auf der anderen Seite des Kanals schon vor dem Ersten Weltkrieg einen ausgezeichneten Ruf.

AJS “Big Port” Model K6, 3.49 h.p. von 1928
AJS “Big Port” Model K6, 3.49 h.p. von 1928


Mit der legendären “Big Port” von 1922, der K10 von 1927, der R7 (die – auch technisch – bereits als Vorgriff auf die berühmte 7R, den legendären “Boy Racer”, angesehen werden kann) und einhergehenden Rennerfolgen, auch und insbesondere auf der Isle of Man, festigte AJS nach und nach den Ruf motorsportlicher Kompetenz.


3.) Zwischen den Kriegen
Matchless baute nach dem “Großen Krieg” (womit im Sprachgebrauch der Engländer wie auch der Franzosen keineswegs der Zweite, sondern der Erste Weltkrieg gemeint ist) zuverlässige Gebrauchsmotorräder kleinerer Hubräume und großvolumige Solo- und Gespannmaschinen, deren leistungsfähige und zuverlässige Zweizylinder-V-Motoren auch an andere Hersteller geliefert wurden; namentlich Brough-Superior und Morgan seien hier als besonders exponierte und bekannte Fabrikate hervorgehoben. Technische Extravaganz manifestierte sich sodann, Anfang der 30er Jahre, in Form der V 2 “Silver Arrow” und insb. der V 4 “Silver Hawk”. Zwar glänzten diese Typen nicht durch Zuverlässigkeit; und zu hohe Preise, die der seinerzeitigen wirtschaftlichen Situation Hohn lachten, vereitelten nachhaltig jeglichen Markterfolg. Doch die ambitionierten, auf maximalen Laufkomfort ausgelegten Konstruktionen – bei der Silver Hawk sogar mit einer überaus ingeniösen obenliegenden Nockenwelle bedacht – heischten Respekt beim fachkundigen Publikum.

Prospektblatt für die Matchless “Silver Hawk”
Prospektblatt für die Matchless “Silver Hawk”


AJS hingegen kaprizierte sich vorwiegend auf Sportmotorräder. Die Stoßrichtung kannte als Ziel die betont sportliche Konkurrenz beispielsweise von Ariel, Rudge oder Velocette. Und so nimmt es nicht Wunder, dass schon weit vor dem 2. Weltkrieg mit der R7 eine ohc-Einzylinder-Konstruktion auf den Rennstrecken erschien, die das Konzept des späteren “Boy Racers” minutiös vorwegnahm.

AJS R7 aus den späten 30 Jahre
AJS R7 aus den späten 30 Jahre


Höhepunkt der gesamten AJS-Vorkriegsentwicklung aber war die anfangs luft-, später wassergekühlte V 4-Rennmaschine, die von Beginn an auf einen Einsatz mit Aufladung hin konzipiert worden war. Dass die FIM, der internationale Motorradsportverband, unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg ein Verbot jeglicher Aufladung im Motorradrennsport beschließen würde: wer hätte es vorhersehen können?

Die V 4 verdient auch deswegen besondere Erwähnung, weil ein Motorrad dieses Typs bei der 1939er Ausgabe des Ulster Grand Prix unter dem irischen Piloten Walter Rusk erstmals im Rahmen eines Rundstreckenrennens die “Ton up”, also eine Runde mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 100 mph (160,9 km/h) bewältigte. Das war im Jahr 1938 eine Ansage, die dem Publikum wie auch der Konkurrenz kalte Schauer den Rücken herunter jagte. Mochte der V 4 wegen des Zweiten Weltkrieges, der anschließenden Reglementsänderung und allerlei konstruktiver und mechanischer Gebrechen auch kein größerer Erfolg beschieden gewesen sein – an Raffinesse, konstruktiver Extravaganz und technischer Ambition nahm sie es sicherlich mit jedem anderen Rennmotorrad jener Tage, sei es deutscher, italienischer, französischer oder ebenfalls britischer Provenienz, auf.

AJS V4 von 1939 - Heute zu sehen in Sammy Millers Museum
AJS V4 von 1939 - Heute zu sehen in Sammy Millers Museum


Daneben kamen aus Wolverhampton aber auch solide Gebrauchsmotorräder, die sich vor allem durch technische Vielfalt auszeichneten. Doch wie so oft barg die Verzettlung zwischen zahllosen technischen Konzepten – AJS stellte sv-, ohv- und ohc-Einzylindermotoren her, ebenso wie längs- und quer-eingebaute V-Zweizylinder – in Verbindung mit ausuferndem, teilweise exotischem sportlichen Engagement wirtschaftliche Risiken. Und so kam es 1931, auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, zum Konkurs und zur übernahme von AJS durch Matchless.

Für wahre A.J.S.-Traditionalisten endet hier die Geschichte “ihrer” Marke. Denn die Produktion im unrentablen Stammwerk in Wolverhampton stellte man ein und verfrachtete die komplette Marke mit Sack und Pack ins Matchless-Stammwerk in die Londoner Plumstead Road.


4.) Kriegs- und Nachkriegsgeschichte
Mit der G3WO und der WD G3/L mauserte sich Matchless während des Zweiten Weltkriegs zum Produzenten eines der meistgebauten Armeemotorräder: über 20.000 Exemplare verließen die Fließbänder in Plumstead. Mit ihrem 350 cm³-Einzylinder-Viertaktmotor und ihrer “Teledraulic”-Vorderradgabel wurde insbesondere die G3/L Vorläufer und Ausgangsbasis aller späteren zivilen Einzylinder-Modelle, die es mit 350, 500 und vereinzelt auch mit 600 cm³ gab. (Die Lightweight-Singles, auf die später die Rede kommen wird, stellen allerdings eine eigene Spezies dar.)

Werbung von 1940 für die Matchless G3WO
Werbung von 1940 für die Matchless G3WO


Stellte die G3WO noch das kaum weiterentwickelte Bindeglied zu den zivilen Motorrädern der Vorkriegszeit dar, so versinnbildlichte die WD G3/L geradezu archetypisch den “Heavy Weight Single” klassischer englischer Schule, wie er nach dem Krieg jahrzehntelang das Bild der Motorradszene auf der Insel bestimmen sollte – wobei “Heavy Weight” auf die G3/L bestimmungsgemäß eigentlich weniger zutraf, stand das “L” doch für “Light”. G3WO wie auch G3/L fußten nämlich auf der Vorkriegs-G3 von 1936, doch nur die G3/L wurde systematischen Maßnahmen zur Gewichtsreduktion unterzogen. Der Rahmen mit nur einem vorderen Unterzug und die vordere Teledraulic-Gabel anstelle der noch bei der G3WO verbauten Parallelogramm-Gabel waren die augenfälligsten Belege hierfür, wobei die Telegabel auch im internationalen Vergleich als Meilenstein der Motorradentwicklung angesehen werden kann. “Heavy Weight” war andererseits in Ansehung gusseiserner Zylinder und Zylinderköpfe und der allgemein - nun, sagen wir: sehr soliden Ausführung eine immer noch durchaus berechtigte Bezeichnung. Spätere Versionen mit Vollaluminium-Motoren und die kleinvolumigen “Lightweight Singles” der sechziger Jahre sollten weiteres Erleichterungspotential noch unter Beweis stellen.

G3/L mit Teledraulic Vorderradgabel
G3/L mit Teledraulic Vorderradgabel


Die von der G3/L verkörperte Evolution war nicht zuletzt auf eine entsprechende Initiative (und einhergehendes Sponsoring) des Verteidigungs- bzw. Kriegsministeriums zurückzuführen, was sich übrigens auch in den Modellpaletten anderer Hersteller - vor allem Norton, Triumph und BSA - niederschlug. Der oftmals überlieferte Präfix “WD” vor der eigentlichen Typbezeichnung steht daher auch für nichts anderes als für das “War Department”, also eben jenes Ministerium.
Auch hier war also, getreu einem Ausspruch des altgriechischen Philosophen Heraklit, “der Krieg der Vater aller Dinge”.

Hatten die “Ajays” vor dem 2. Weltkrieg noch ihre technologische Eigenständigkeit bewahren dürfen, so präsentierten sie sich nach dem Krieg mit ihren Matchless-Pendants faktisch baugleich. Sie liefen in London-Plumstead von den selben Fließbändern und unterschieden sich nur noch im Markenzeichen (“badge”) und unbedeutenden Ausstattungsdetails von ihren Schwestern; ein frühes Beispiel also für das sprichwörtliche “badge engineering”, die Schaffung einer eigenen Marke allein durch Verwendung eines separaten Markenzeichens an einem bereits vorhandenen Produkt.

Ausnahmen waren speziell die Rennmaschinen: zunächst die E90 “Porcupine”, ein Zweizylinder-Paralleltwin mit waagrecht liegenden Zylindern, mit der Les Graham 1949 der Gewinn der Weltmeisterschaft in der 500 cm³-Klasse gelang; sodann die 7R “Boy Racer”, die mit ihrem 350 cm³-Einzylindermotor zu einer der populärsten englischen Rennmaschinen überhaupt wurde.

AJS E90 Porcupine Mark 1 - Bild von 1947
AJS E90 Porcupine Mark 1 - Bild von 1947


Die E90 präsentierte sich technisch mindestens ebenso ambitioniert wie die bereits angesprochene V 4. Ihren Spitznamen “Porcupine” (Stachelschwein) verdankte sie zwar auch ihrem durch den weit heruntergezogenen Tank etwas plumpen Aussehen, in erster Linie aber ihrem Zylinderkopf, der spitze Kühl“stacheln” statt durchgehender Kühlrippen aufwies. In der von Mangel geprägten Nachkriegszeit, als auch die metallurgischen und gusstechnischen Erkenntnisse noch weit von heutigem Niveau entfernt waren, hätte man die hochkomplexe Konstruktion kaum auf anderem Wege in den Griff bekommen. Leider litt das “Stachelschwein” ebenso wie die V 4 unter dem 1947 so unerwartet verhängten Kompressor-Verbot. Für den reinen Saugbetrieb war der Motor in mancherlei Hinsicht schlicht überdimensioniert. Der weit ausladende Zylinderkopf war für große Ventilwinkel und die Unterbringung voluminöser Ansaugleitungen konzipiert, die bei einem aufgeladenen Motor für eine adäquate Leistungsausbeute unerlässlich waren. Im Betrieb als Saugmotor aber versperrte er hauptsächlich die Zufuhr von Kühlluft zu den Zylindern.

AJS E95 Porcupine Mark 2
AJS E95 Porcupine Mark 2


Mit der Evolutionsstufe E95 wurde die Zylinderbank folgerichtig auf einen Neigungswinkel von nur noch 45° angehoben. Auch die Zylinderköpfe sahen ab diesem Zeitpunkt eher konventionell aus - zwar wiesen sie weiterhin einen sehr weiten Ventilwinkel auf (das war in den 50er Jahren im Rennmotorenbau noch “state of the art”, lange bevor man die Vorzüge kleiner Ventilwinkel, dadurch zwar kleinerer Ventilflächen, im Gegenzug aber kompakterer, sprich: klopffesterer Brennräume und daraus resultierend deutlich höherer Drehzahl- und damit Füllungspotentiale entdeckte), verfügten aber über normale Kühlrippen. Dass der liebgewonnene - und ohnehin von Beginn an eher liebevoll als böse gemeinte - Spitzname “Porcupine” dennoch beibehalten wurde, dürfte sich allerdings wohl fast von selbst verstehen.

Interessanterweise fand das “badge-engineering” bei den Einzylinder-Rennmaschinen einmal in umgekehrter Richtung statt: in den späten 50er Jahren bemächtigte sich Matchless der 7R-Konstruktion, brachte sie auf 500 cm³ und führte sie unter der Bezeichnung G50 ebenfalls zu beträchtlichem Ruhm. In Solo- und Gespannrennmaschinen, mit Werksfahrwerken ebenso wie in den Spezialanfertigungen begnadeter Mechaniker (als bekannteste seien hier die Gebrüder Rickman, Colin Jordan Seeley und Tom Arter genannt) war der G50-Motor bis weit in die 70er Jahre hinein international erfolgreich. Immerhin konnte man noch 1973 auf einer Arter-G50 Zweiter in der Senior TT auf der Isle of Man hinter einem gewissen Giacomo Agostini auf MV Agusta werden – so vollbracht von Peter Williams, einem begnadeten Rennfahrer der 60er und 70er Jahre

Eine Matchless G50 (7) und die ältere Schwester, AJS 7R (16)
Eine Matchless G50 (7) und die ältere Schwester, AJS 7R (16)


Dass die G50 erst spät – 1958 und damit ein Jahrzehnt nach der 7R - und auch nur unter schmerzhaften Geburtswehen das Licht der Welt erblickte, ist eine weitere skurrile, aber bezeichnende Anekdote in der schicksalhaften Geschichte unserer beiden Marken. Hätte es nicht auf der Hand gelegen, den famosen 350er-Treibsatz aus der AJS 7R schon weit früher aufzubohren und so eine Trumpfkarte auch in der Halbliter-Klasse, beispielsweise gegen die schnellen Norton Manx, in der Hand zu haben? Aber nein, Matchless trat zu jener Zeit ja noch mit der G45 an, einem halb-herzigen Rennmotorrad mit viel zu hohem Gewicht und viel zu niedriger Leistungsausbeute auf Basis des G9-Serientwins. Man scheute einfach die Gefahr eines technischen Offenbarungseides, der den Twin und seinen Konstrukteur Ike Hatch wo-möglich dem Ruch der Unfähigkeit preisgegeben hätte.
Da musste schon ein schwedischer Moto-Cross-Fahrer kommen, seinen AJS-Einzylinder in eigener Regie auf das “königliche Maß” von einem halben Liter bringen und damit Weltmeister werden, um ein Umdenken zu beschleunigen. Bill Nilsson war es, dem dieses Kunststück in der 1957er Saison gelang.

Werksprospekt von 1956 mit der Matchless G45
Werksprospekt von 1956 mit der Matchless G45


Die Serienproduktion umfasste, wie bereits angedeutet, 350- und 500-cm³-Singles, wobei die Matchless-Typen die Nomenklatur G3 für die 350-cm³-Variante und G80 für die Ausführung mit 500 cm³ aufwiesen; bei AJS lauteten die entsprechenden Typbezeichnungen 16 und 18. Später kamen noch Lightweight-Singles mit 250 und 350 cm³ hinzu, doch das ist uns weiter unten einen eigenen Abschnitt wert.

Matchless G80 von 1950
Matchless G80 von 1950


Daneben standen ab 1948 (Präsentation auf der Earls Court Show in London) bzw. 1949 (offizieller Produktions- und Auslieferungsbeginn) die Zweizylindermodelle, nur auf den ersten Blick Paralleltwins klassischer englischer Schule.
In Wirklichkeit besaßen sie mit der vollgelagerten Kurbelwelle ein Alleinstellungsmerkmal, das sie von sämtlichen anderen Big Twins englischer Provenienz (Ariel, BSA, Norton, Triumph, Royal Enfield) unterschied. Das Merkmal “vollgelagert” beschreibt einen Motor mit je einem Kurbelwellen-Hauptlager vor und hinter jedem Hubzapfen, wobei sich benachbarte Zylinder natürlich das zwischen ihnen liegende Hauptlager teilen. Der Matchless-/AJS-Twin wies also drei Kurbelwellen-Hauptlager auf, wobei sich das mittlere durch konstruktive Einzigartigkeit auszeichnete: es war als Gleitlager großen Durchmessers ausgeführt und saß in einem “centre web” genannten Gussteil, das – einer großen Scheibe ähnlich – mit dem Kurbelgehäuse verschraubt wurde.

Zeichnung des AMC Twin Motors
Zeichnung des AMC Twin Motors
Gelb markiert ist die dreifache Lagerung der Kurbelwelle


Ob diese besondere Art der Lagerung dem Twin nun zum Vorteil gereichte oder nicht, ist bis zum heutigen Tage umstritten und hängt stark von Hubraum, Baujahr und Materialwahl ab, ebenso wie vom Umgang des Fahrers mit seiner Maschine. Schworen die einen auf die – tatsächliche oder nur behauptete – Vibrationsfreiheit und Laufruhe, so bemängelten die anderen die Einschränkung der Kurbelwellen-Durchbiegung, die nach ihrer Meinung gerade zu mehr Vibrationen und im schlimmsten Falle zu Kurbelwellenbrüchen führte. Heute ist das höchstens noch ein nostalgiebehaftetes Randthema... und reger Diskussionsgegenstand, wenn es bei der Revision eines solchen Twins um den Wuchtfaktor der Kurbelwelle und dergleichen geht.

Singles und Twins wurden in zwei regulären Straßenausführungen, nämlich als Standard- und als De Luxe-Version, verkauft. Daneben gab es die CS-(“Competition Sports”-)Modelle für Geländeeinsatz und schließlich die CSR-Modelle (“Competition Sports Road”) für den Straßeneinsatz. Während die CS-Modelle zumindest bei den Singles durchaus europa- und weltmeisterschaftstauglich waren (in den 50er Jahren errangen Fahrer wie der Belgier Auguste Mingels, der Engländer Brian Stonebridge, der Schwede Bill Nilsson und viele, viele andere reihenweise internationale Siege und Titel), konnten die CSR-Modelle im harten Rennbetrieb nicht bestehen. Hierfür waren sie einfach zu seriennah und gewannen allenfalls Schönheitspreise, mit mildem Spott wurde das Kürzel CSR daher alsbald mit “Coffee Shop Racer” übersetzt...


5.) Schwanengesang

a. Das AMC Imperium
Um die Tragödie rund um die Marken Matchless und AJS, insbesondere natürlich um ihr Ableben, zu verstehen, ist es erforderlich, noch einmal in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen zurückzublenden. Die Abkürzung AMC bezeichnete ab 1937 ein Firmenkonglomerat, dem allein mit den beiden Markennamen Matchless und AJS nicht mehr beizukommen war: denn in ihrem Expansionsdrang, der aus heutiger Sicht schon ein wenig “heuschreckenhaft” anmutet, hatte sich die Konzernleitung diverse Motorradmarken einverleibt.
Dazu gehörten neben eher nachrangigen Marken wie James und Francis-Barnett auch und vor allem Sunbeam. So wie man einstmals den Namen “Matchless” aus einem großen Konzern, Singer, herausgekauft hatte, war man auch in den Besitz der gewiss nicht unbedeutenden Marke Sunbeam gekommen – hatte man sie doch vom schon damals namhaften Chemiegiganten ICI (Imperial Chemical Industries) übernommen.

Der 12. Oktober 1937 darf als die Geburtsstunde der Associated Motor Cycles Ltd. (AMC) gelten. Der Konzern stellte zu diesem Zeitpunkt eine Macht auf dem nationalen und internationalen Markt dar – baute man doch nicht nur Motorräder dreier am Markt renommierter und erfolgreicher Marken, sondern belieferte auch in großem Maßstab andere berühmte “Konfektionäre” (Hersteller hochwertiger Fahrzeuge mit eigenen Chassis-Konzepten, unter Verwendung zugekaufter Komponenten) mit Motoren. Brough-Superior und Morgan sind in diesem Zusammenhang bereits benannt worden; weitere Namen waren die kaum weniger gut beleumundeten Calthorpe, Coventry Eagle und OEC (Osborn Engineering Co. Ltd.), letztere in den 20er Jahren vorübergehend sogar Inhaberin des absoluten Geschwindigkeitsweltrekordes für Motorräder.

Sunbeam Logo


Sunbeam wurde übrigens schon im Jahre 1940 weitergereicht – an BSA. Wie man sieht, ging es in der britischen Motorradindustrie zu wie bei einem rechten Ringelreihen (man denke nicht nur an die zahllosen Firmen- bzw. Markenverkäufe, sondern auch an die Konstrukteurskarrieren von Edward Turner, Bert Hopwood oder Val Page, die wechselweise bei Ariel, BSA, Triumph und anderen ihre Spuren hinterließen).

Erste Schicksalsschläge, die aus heutiger Sicht durchaus als Vorboten späterer Misere angesehen werden können, waren der Tod von “Young Bert” Collier 1941 und jener von Harry A. Collier in 1944. Young Bert, zum Zeitpunkt seines Todes gerade einmal Mitte Dreißig, galt als brillanter Konstrukteur, der seine besten Jahre noch vor sich hatte. Harry A. war, als er starb, Vorstandsvorsitzender des Konzerns – auch er hinterließ dementsprechend eine große Lücke.

Als schließlich auch noch Charlie Collier im Jahre 1954, quasi “von der Werkbank weg”, 69-jährig verstarb, da war AMC zwar nicht führungslos, aber eben auch kein Familienunternehmen mehr. Und tatsächlich starb er in einem Alter, in dem andere Werktätige längst ihren Ruhestand genießen, in seinem Büro in den Werken von London-Plumstead.
Andererseits war es zuvor gelungen, den damals sehr populären Rennfahrer Jock West in die Geschäftsleitung zu berufen. War ihm als Rennfahrer auf internationalem Parkett auch der ganz große Durchbruch versagt geblieben, so gehörte er doch zur ersten Garde unter den britischen Rennfahrern - beispielsweise als mehrfacher Gewinner des Ulster GP - und leistete AJS in den 40er Jahren bei der 7R wie auch bei der “Porcupine” wertvolle Entwicklungshilfe.

John Milns (Jock) West, Bild von ca. 1950
John Milns (Jock) West, Bild von ca. 1950


Auch in Deutschland war Jock West beileibe kein Unbekannter – war er doch beim legendären TT-Sieg Georg “Schorsch” Meiers auf der Isle of Man 1939 dessen Teamgefährte und fuhr die zweite BMW RS 500 auf den zweiten Platz. Auch die Renn-BMW's jener Zeit wiesen bereits Teleskopgabeln auf, und so kann Jock West mit einigem Recht als “Bindeglied” angesehen werden, der dieses Feature möglich-erweise in die technische Entwicklung der Teledraulic-Gabel einbrachte...
Im Management von AMC fand er sich 1945 als “Sales Manager” (Verkaufsdirektor – heute würde man wohl “Vertriebsvorstand” sagen) wieder und prägte in den folgen-den Jahren durchaus maßgeblich die Geschicke des Konzerns.

Erst einmal ging es bei den “mergers and acquisitions” in Form der übernahme von Francis-Barnett im Juni 1947 und James im November 1950 munter weiter. Mit diesen beiden Marken beabsichtigte man, das Portfolio des Konzerns um kleine Zweitaktmaschinen zu bereichern, also gewissermaßen nach unten auszubauen.

Francis-Barnett Logo


Beide Firmen waren ihrerseits Traditionsunternehmen. Francis-Barnett existierte seit 1919 und hatte sich mit dem Slogan “Built like a bridge” - dem die Maschinen mit ihrer gleichermaßen leichten wie stabilen Konstruktion durchaus gerecht wurden – einen guten Namen gemacht.

James Logo


Die Marke James gab es gar seit 1880 – natürlich als Fahrradproduzent; Motorräder hatte man bei James ab 1902 im Portfolio. Dass AMC mit Fred Kimberley einen führenden Manager übernahm, der bereits 1902 die Geschicke der Motorradproduktion bei James geleitet hatte, erscheint in heutigen Zeiten, in denen schon 10-jährige Firmenjubiläen für erstaunt hochgezogene Augen-brauen sorgen, fast unglaublich. Dabei sind solch lebenslange Firmenverbundenheiten in der Industrie noch gar nicht lange her, und auch in Deutschland, “beim Daimler” oder “beim Opel”, konnte man auf solche Biographien stoßen. Mister Kimberley war damit übrigens keineswegs am Ende seiner beruflichen Laufbahn angelangt – 1952 machte man ihn noch für einige Jahre zum Präsidenten der “Motorcycle Manufacturers Union”, des Verbandes der englischen Motorradhersteller.
Jock West lagen die Geschicke der Neuzugänge besonders am Herzen, da er hier, bei den leichten Gebrauchsmotorrädern, große Marktpotentiale erkannte. Dementsprechend viel Zeit und Hingabe widmete er ihnen. Ein geplantes Rollerprojekt Ende der 50er Jahre hingegen hielt er für unrentabel und wenig erfolgversprechend; es kam darüber zu einem ersten Zerwürfnis mit seinem damaligen Vorstandskollegen Donald Heather, der dieses Projekt jedoch durchsetzte. Prompt wurde es zu einem finanziellen Debakel – einem weiteren Mosaikstein im Niedergang des AMC-Konzerns. Und die Zeichen an der Wand dafür, dass Jock West bald genug haben würde vom Missmanagement seiner Kollegen, wurden immer deutlicher.

b. Die Norton-übernahme
Die berühmteste Akquise der AMC-Nachkriegsgeschichte bestand jedoch mit Sicherheit in der übernahme von Norton, die auf der AMC-Hauptversammlung am 25. Februar 1953 verkündet wurde. Für AJS und Matchless war speziell der Zukauf von Norton schicksalhaft: zum einen wurden die dortigen Komponenten sehr schnell auch für die traditionellen AMC-Produkte übernommen.

Norton Logo


Hervorgehoben sei insbesondere der 750 cm³-Twin aus der Atlas, der die späten G 15- und Typ-33-Versionen antrieb, aber auch die Räder, Telegabeln, Bremsnaben aus dem Norton-Fundus, die die bekannten Produkte ihres traditionellen Markencharakter weitestgehend beraubten. Und zum anderen blieb Norton im Jahre 1969 als letzte der Konzernmarken am Leben.

Matchless G15 CS von 1965. Mit Norton Motor und vielen Norton Teilen
Matchless G15 CS von 1965. Mit Norton Motor und vielen Norton Teilen


Doch der Reihe nach: Nur vordergründig verbesserte AMC mit diesem Zukauf seine Struktur. Das Renommee von Norton war durch Rennerfolge der berühmten Einzylinder-Rennmaschinen (“Manx”) unter Fahrerlegenden wie Stanley Woods, Alec Ben-nett, Harold Daniell oder Geoff Duke unerreicht – doch eine nüchterne Bestandsaufnahme ergab eine lückenhafte Modellpalette und erheblichen Investitionsbedarf. Gleichwohl stand von Anfang an fest, dass man den exzellent eingeführten und etablierten Namen “Norton” nicht auf- und preisgeben wollte. Auch im Falle Norton übernahm man übrigens mit Gilbert Smith als “Managing Director” einen Getreuen, der die Schicksale seines Arbeitgebers schon seit Jahrzehnten – in diesem Falle seit 1916 – teilte.

Erstmals hatte man bei AMC auch zugelassen, dass ein externer Finanzier, die Pearl Assurance Company, Anteile an einer Unternehmensgesellschaft hielt; so kam es, dass die Geschicke der Marke Norton zumindest teilweise fremdgesteuert wurden.

Schon bald zeichnete sich ab, dass es mit AMC nach all den erwähnten Zukäufen nicht erfolgreich würde weitergehen können. Der Motorradmarkt in England lag - wie im übrigen Europa auch - darnieder. Noch war das Motorradfahren als Freizeitvergnügen nicht entdeckt, und im Alltag leistete das - inzwischen für viele erschwingliche - Auto allemal bessere, weil praktischere und universellere Dienste.
Als eine der ersten Konsequenzen zog man sich aus dem Rennsport zurück. Sicher, die “Production racer” vom Schlage einer AJS 7R oder Matchless G45 gab es - gegen gutes Geld! - auch weiterhin käuflich zu erwerben. Aber Werksteams und Werksfahrer gehörten nun der Vergangenheit an.
Sodann sollte es die “Universalwaffe” Jock West richten, nach seinen erfolgreichen Einsätzen bei Francis-Barnett und James auch die Norton-Verkäufe wieder auf Vordermann zu bringen. Und das gelang ihm zunächst auch. Vor allem der Einführung der neuen Zweizylinder-Modelle 88 und 99 verdankte Norton unter Jock Wests Führung verbesserte Verkaufszahlen und Marktanteile.

Doch als man Jock West 1958 als Tribut für sein erfolgreiches Wirken die Stelle als “Managing Director” (entsprechend wohl am ehesten einem Vorstandsvorsitzenden heutiger Prägung) bei Norton anbot, in Nachfolge des bereits erwähnten Gilbert Smith – da lehnte er ab. Ohnehin war er von Beginn an Gegner des Norton-Deals gewesen, und nur seine unbedingte Loyalität zum AMC-Konzern hatte ihn die Fusion und die übernahme des Verkaufsleiter-Postens mittragen lassen. Nun aber war es genug. Und so kam Bert Hopwood, ein in der englischen Motorradindustrie schon lange kein Unbekannter mehr, zum Zuge. (Immerhin stand Jock West noch eine Zeitlang als Verkaufsdirektor zur Verfügung.)

c. Kampf ums überleben
Bemerkenswert erscheint, dass AMC es im Jahre 1958 auch wieder für angemessen erachtete, seine Produkte schnöden Tests durch die Journaille unterziehen zu las-sen. Buchstäblich jahrzehntelang, nämlich seit den späten 30er Jahren, hatte man einen regelrechten Bann erlassen und keinem Tester mehr Maschinen zur Verfügung gestellt. Mit dem legendären Ritt des Redakteurs Vic Willoughby von The Motor Cycle auf der M.I.R.A.-Teststrecke (M.I.R.A. = Motor Industry Research Association), der einen G11CSR-Twin eine Stunde lang unbeschadet mit einem Schnitt von mehr als 100 mph über die Piste prügelte, war man zurück in den Gazetten.
Wer dies allerdings als einen Akt später Gnade interpretiert, dürfte verkennen, dass man auch im Hause AMC gute Publicity bitter notwendig hatte...

Als sei Norton des Guten immer noch nicht genug, kaufte man 1959 auch noch Brockhouse Engineering - eine Firma, die mitnichten etwas mit dem deutschen Enzyklopädieverlag gleichen Namens zu tun hatte. Vielmehr war Brockhouse zu jener Zeit Eigentümerin der amerikanischen Marke Indian. Doch wer nun denkt, dass die übernahme von Indian dem AMC-Imperium endgültig die Krone verliehen hätte, verkennt wiederum die Umstände jener Zeit: eigene Indian-Motorräder gab es nicht mehr, bestenfalls ein wenig “badge engineering” (z.B. wurden die großen 700cm³-“Interceptor”-Twins von Royal Enfield in den USA als Indian vermarktet!). Daneben war Indian in den Staaten als Importeur diverser englischer Marken aktiv.

Aus dem zuvor Geschilderten mag sich herauslesen lassen, dass es um die Geschicke von AMC schon jahrelang nicht zum Besten bestellt war (manch ein Kenner des Hauses glaubt ohnehin, dass spätestens der Tod Charlie Colliers, 1954, dem Konzern endgültig die Seele und damit die unternehmerische Fortune geraubt habe). Doch spätestens mit den heraufziehenden 60er Jahren ging es unweigerlich bergab.

Zeitgleich mit dem altersbedingten Rückzug des zu jener Zeit amtierenden “Managing Directors” von AMC, Donald Heather, am 31. August 1960 wurde ein Komitee von Anteilseignern eingesetzt (wer die englischsprachige übersetzung “shareholders committee” liest, fühlt sich unversehens in aktuelle Zeiten versetzt). Dieses Komitee sprach dem gesamten Vorstand das Misstrauen aus und entband ihn von seinen Auf-gaben - mit einer Ausnahme: Jock West! Ihn allein hielt man auch in Zukunft für fä-hig, die AMC-Geschicke gestaltend mitzubestimmen.
Aber er hatte nun, nach diversen Entscheidungen, die seinen überzeugungen zu-tiefst zuwiderliefen, endgültig genug: 1961 wandte er AMC den Rücken zu und verdingte sich, bis zum Ende seines Berufslebens, als BMW-Händler in Brighton. wobei ihm seine Einsätze im BMW-Rennteam der späten 30er Jahre, einschließlich der Adjutantendienste für Schorsch Meier bei der 39er Tourist Trophy, sicherlich nicht hinderlich waren.

d. Letzte technische Offensive: Die Lightweight-Singles
Zu Beginn der 60er Jahre erkannte man im Hause AMC die Notwendigkeit, auch unterhalb der Twins und der Heavyweight-Singles (doch oberhalb der kleinen Zweitakter von James und Francis-Barnett) ein gewisses Sortiment an leichten Maschinen anzusiedeln. Die aufgrund dieser Erkenntnis forcierten sog. Lightweight-Singles zeichneten sich partiell durch durchaus fortschrittliche Technik aus: so schmiegte sich zum Beispiel der öltank der Trockensumpfschmierung, verborgen unter dem rechten Motorseitendeckel, unauffällig und platzsparend um Kurbelwellenstumpf und Unterbrecherplatte. An den 250 cm³-Modellen kamen erstmalig 17-Zoll-Räder zum Einsatz; auch dies dokumentiert die zumindest partielle Offenheit der Entwickler gegenüber veränderten Anforderungen des Marktes, der in diesem Zusammenhang nach kompakterer Optik und handlingfreundlicherer Abstimmung verlangte.
Doch gegen die mittlerweile im Sturmschritt heraneilenden Japaner brachten auch die Lightweight-Singles kaum noch einen Fuß - oder besser: ein Rad auf den Boden. Mit ihrem letztlich immer noch biederen Aussehen und der Abwesenheit jeglicher technischer Gimmicks standen sie auf verlorenem Posten.

Lightweight Motor mit öltank im rechten Motorseitendeckel
Lightweight Motor mit öltank im rechten Motorseitendeckel


Noch wiesen auch japanische Viertakter zumeist nur eine obenliegende Nockenwelle auf, und die Zweitakter waren noch simpel schlitzgesteuert. Aber die japanischen Motorräder waren optisch ungleich pfiffiger, sportlicher – und pressten mit damals utopischen spezifischen Motorleistungen bis über 100 PS / Liter die Konkurrenz gnadenlos an die Wand. Eine AJS Typ 14 oder eine Matchless G2 hätten vielleicht einige Jahre zuvor gegen eine NSU Max oder dergleichen eine ganz passable Figur gemacht – hier aber standen sie auf verlorenem Posten.

Matchless G2 von 1958 (250 ccm, Gewicht 147 kg, Höchstgeschwindigkeit 113 km/h)
Matchless G2 von 1958 (250 ccm, Gewicht 147 kg, Höchstgeschwindigkeit 113 km/h)


e. Das traurige Ende – Denis Poore und die “Manganese Bronze Holding”
Ab 1961 ging dann alles ganz schnell: Kapital für eine grundlegende Umwälzung der Modellpalette war nicht vorhanden, man ruhte sich auf den mittlerweile endgültig überkommenen Konstruktionen früherer Glanzzeiten aus. Dementsprechend rapide bröckelten, nein: erodierten die Marktanteile, was wiederum die verfügbaren Mittel (heute würde man wohl von “cash flow” sprechen) wie auch den Ehrgeiz schmälerte, in grundlegende Neuentwicklungen zu investieren.

Das Jahr 1961 markiert ohnehin einige schicksalhafte Wendepunkte in der hier zu erzählenden Geschichte: erstmalig fuhr AMC Verluste ein, die mit 350.000 £ - in damaliger Zeit eine horrende Summe - auch gleich gewaltig ausfielen.
Der Mini erschien auf dem Automobilmarkt und wurde bald ein ernsthafter Konkurrent des Motorrads - für viele Leute war er mit seinem Komfort und seinen wesentlich flexibleren Beförderungsmöglichkeiten schlicht die bessere Alternative, und das bei einem gegenüber einem großen Twin kaum höheren Preis.
Auf der ebenfalls just in diesem Jahr eröffneten Autobahn M1 von London nach Birmingham konnte man diese Vorteile sehr eindrücklich “erfahren”.
überlegungen des AMC-Managements, die Produktion in eine neu zu errichtende Fabrik auf der Isle of Sheppey, die zur Grafschaft Kent gehörte, zu verlagern, wurden jedoch verworfen.

Was folgte, waren Verzweiflungstaten: 1962 gab es ein “Standardization programme”, also eine Vereinheitlichungsoffensive bei den Baukomponenten der Motorräder. Die berühmte Norton-Fabrik in der Bracebridge Street, Birmingham, wurde geschlossen, die Norton-Produktion ebenfalls nach Plumstead verlegt. Francis-Barnett hingegen musste unter ein Dach mit James, an deren angestammtem Firmensitz in Greet, Birmingham. Zu allem überfluss wollte man für die kleinen Zweitakter der beiden Marken auch noch einen eigenen Motor entwickeln, um sich aus der Abhängigkeit von zugekauften Villiers-Aggregaten zu befreien.

1964 wurden, zunächst nur für ein 750 cm³-Exportmodell, Fahrwerkskomponenten und der Motor der “Atlas” von Norton übernommen. Ab 1965 waren dann alle Twins derartige Hybriden mit umfangreicher Norton-Anleihe, und es nimmt nicht wunder, dass weder die angestammte Norton-Klientel noch die alteingeschworenen Matchless- und AJS-Getreuen einen solchen seelenlosen Mischmasch erwerben wollten, mit dem sich weder die einen noch die anderen identifizieren konnten.

1966 war es dann faktisch vorbei mit AMC: die Produktion der Lightweight-Singles wurde eingestellt, damit man sich auf die Produktion der Twins konzentrieren konnte; lediglich Lagerbestände wurden noch abverkauft. Die Marke AJS ließ man sanft entschlafen und hielt nur doch das Matchless-Label am Leben. All das konnte jedoch nicht verhindern, dass noch im Laufe desselben Jahres die Zahlungsunfähigkeit ein-trat. Als “weißer Ritter” erschien Denis Poore auf der Bildfläche, der mit seiner Manganese Bronze Holding, einem großen Metallkonzern, beträchtliches Finanzpotential in die Waagschale werfen konnte und zu jener Zeit die gesamte englische Motorradindustrie neu durchmischte.

Dennis Poore (ca. 1973)
Dennis Poore (ca. 1973)


Neben AJS als Marke verschwand AMC als Konzern, es verblieben Matchless als Label bzw. Norton-Matchless als Unternehmen. Auch das war nur ein übergangsstadium, alsbald entstand Norton-Villiers und schließlich, nachdem es auch bei der Konkurrenz zu Streik und Zusammenbruch gekommen war, Norton-Villiers-Triumph (NVT). Hier setzt eine Geschichte ein, die an anderer Stelle zu erzählen wäre...

In London-Plumstead lief die Produktion 1969 aus, 1971 wurde das altehrwürdige Werk schließlich für immer geschlossen.

Man mag es als bittere Ironie empfinden, dass ausgerechnet Norton – der letzte große AMC-Zukauf – nicht nur die letzten AJS- und Matchless-Jahrgänge bis zur Unkenntlichkeit verwässerte, sondern als einzige Marke nach dem Untergang des AMC-Imperiums unter der Flagge von Norton-Villiers-Triumph (NVT) weitersegeln durfte – zumindest noch ein Weilchen.


Um aber diesen überblick nicht in Niedergeschlagenheit enden zu lassen, sei dem geneigten Leser ans Herz gelegt, sich an den Aktivitäten rund um die Marken AJS und Matchless zu erfreuen (und zu beteiligen?!), von denen diese Internet-Seite nur einen kleinen Teil verkörpert.
Immer mehr Enthusiasten (wieder)entdecken ihr Herz für die zu Produktionszeiten schließlich veralteten, heute aber einfach nur klassischen Bikes aus London-Plumstead und Wolverhampton.

Die Szene lebt, und erstaunlich häufig gibt sich ein neuer Interessent für die Teilnahme an Markenaktivitäten zu erkennen. Und die angestammte Gemeinde wundert sich in solchen Fällen stets aufs Neue, was da immer noch an altem Maschinen-, Ersatzteil- und Literaturbestand ans Licht des Tages zurückbefördert wird.

Logo AJS & Matchless Freunde D-A-CH


Wenn nun Du, liebe Leserin oder lieber Leser, tapfer bis hierhin durchgehalten hast, dann erfreue Dich jetzt an den Bildern, die die Geschichte illustrieren und lebendig werden lassen. Tue Dich um und schau Dir an, was wir an Wissens- und Sehenswertem für Dich zusammengetragen haben. Lass Dich zu eigenen Aktivitäten inspirieren. Besuche einen Oldtimermarkt, und wenn Dir kein passendes Motorrad oder Ersatzteil begegnet, dann magst Du vielleicht ein antiquarisches Buch oder eine alte Zeitschrift erstehen, die Deine Leidenschaft belebt.

Die Krönung einer solchen selbstgemachten Marken-Renaissance ist es aber, wenn man auf einem sonor orgelnden Twin oder einem machtvoll stampfenden Einzylinder über sanft geschwungene Landstraßen zirkelt und so dazu beiträgt, dass der Atem zweier großartiger Motorradmarken noch lange zu spüren sein wird.

Wer weiß – vielleicht treffen wir uns eines Tages irgendwo da draußen auf unseren Ajays und Matchies... ?